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Bewältigung von Übergriffen und Traumatischem Stress in Justizvollzugsanstalten (BÜTS)
Fallbeispiel

Eine 30jährige Bedienstete hatte beim Aufschluss einer Zelle einen Gefangenen 
aufgefunden, der sich suizidiert hatte. Der Gefangene hatte sich die Pulsadern 
aufgeschnitten und danach am Fenster mit einem Gürtel aufgehängt. Die ganze 
Zelle war voll mit Blut. Sie hatte vorher noch nie einen Toten gesehen und fand 
den Anblick sehr schlimm. "Wie der da hing, die Augen, die Zunge, diesen Anblick 
werde ich nie vergessen!" Sie wird immer wieder überfallen von diesen Bildern, 
besonders nachts, wenn sie schlafen möchte, auch tagsüber in Ruhephasen. Sie hat 
Angst davor, dass ihr das noch einmal passieren könnte und glaubt, es nicht noch 
ein weiteres Mal verkraften zu können. Besonders schlimm findet sie den 
Gedanken, dass sie den Selbstmord vielleicht hätte verhindern können. Der 
Gefangene hatte in den Tagen davor mehrfach Äußerungen gemacht, die in die 
Richtung gingen, dass er den Knast nicht mehr aushalten könne und dass er von 
anderen Gefangenen fertiggemacht würde. Sie hat diese Äußerungen nicht richtig 
ernstgenommen und machte sich anschließend Vorwürfe deswegen. Heute muss sie 
sich sehr überwinden, eine Zelle aufzuschließen, sie erlebt dabei häufig 
Schweißausbrüche und hat diese Aufgabe so oft es ging von Kollegen machen 
lassen, ohne denen zu sagen, womit sie Schwierigkeiten hat. Sie befürchtet, von 
den Kollegen als zu weich für die Arbeit angesehen zu werden und glaubt, mit 
niemandem über ihre Probleme reden zu können.

Die belastete Kollegin berichtet unter starker emotionaler Beteiligung vom 
Vorfall und ihren als sehr belastend erlebten Schuldgefühlen. Sie zweifelt 
daran, ihren Dienst wie bisher weiter ausüben zu können.

Nachdem der ASP von dem Vorfall gehört hat, geht er auf die Kollegin zu und 
bietet ihr ein Klärungsgespräch an. Das belastende Erlebnis der Kollegin wird in 
der oben dargestellten Weise in Schritten aufgearbeitet. Durch das Gespräch mit 
dem ASP relativiert sie ihre "Schuld" dahingehend, dass sie formuliert, in 
Zukunft noch besser auf Suizidäußerungen von Gefangenen zu reagieren und diese 
verstärkt bei Kollegen und Vorgesetzten zur Sprache zu bringen. Sie fühlt sich 
nach dem Gespräch deutlich beruhigt und hat Kriterien an die Hand bekommen, wie 
sie mit den Belastungen umgehen kann, nämlich aktiv und konfrontativ, nicht 
vermeidend.

Sie wünscht von sich aus ein weiteres Gespräch mit dem ASP, in dem erarbeitet 
wird, mit wem sie im familiären und Freundeskreis über die Erlebnisse weiter 
reden kann und welche Kollegen am ehesten für eine Weiterverarbeitung 
angesprochen werden können.

Die konfrontative Gesprächsführung stellt eine Prophylaxe gegen sich 
answeitendes Vermeidungsverhalten dar und eröffnet eine Chance zu früher aktiver 
Bewältigung.

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